Wirtschaftskrieg 02: Intelligence und Initiative

Wirtschaftskrieg 02: Intelligence und Initiative

Schlägt man auf Wikipedia unter Business Intelligence nach, findet man die folgende Definition:

Der Begriff Business Intelligence (…) bezeichnet Verfahren und Prozesse zur systematischen Analyse (Sammlung, Auswertung und Darstellung) von Daten in elektronischer Form. Ziel ist die Gewinnung von Erkenntnissen, die in Hinsicht auf die Unternehmensziele bessere operative oder strategische Entscheidungen ermöglichen. (…) Der Begriff wird dem Fachgebiet der Wirtschaftsinformatik zugerechnet.

Diese Definition ist aus zweierlei Gründen bemerkenswert:

Zum einen macht er aus einem fach- und sektorenübergreifenden Konzept einen simplen technischen Prozess. Zum anderen legt der Artikel ein ausgesprochen zweidimensionales Wirtschaftsbild zugrunde: Der Unternehmer hat vordefinierte Unternehmensziele, die durch die nachträglich gewonnene Informationen strategisch und operativ umgesetzt werden. Abgesehen von der Tatsache, dass Unternehmensziele ihrer Natur nach strategisch sind und diese durch strategische Entscheidungen revidiert werden würden, fällt auf, dass die Verfasser – ein Wiki-typisches Kollektiv – von einem statischen Wirtschaftsverständnis ausgehen. Die der modernen Wirtschaft inhärente Dynamik wird den ganzen Artikel hindurch erfolgreich negiert.

Der für diese Beitragsreihe gewählte Name „Wirtschaftskrieg“ ist kein Zufall sondern Programm. Es liegt daher nahe, die Rolle des Faktors Intelligence im militärischen Umfeld zu untersuchen und zu prüfen inwieweit hieraus Lehren für die Wirtschaft gezogen werden können.

Zur Erinnerung: Das US-Army Field Manual 2-0 Intelligence definiert die Rolle des Militärischen Nachrichtenwesens wie folgt:

1-1. The commander requires intelligence about the enemy and the battlespace prior to engaging in operations in order to effectively execute battles, engagements, and other missions across the full spectrum of operations. Intelligence assists the commander in visualizing his battlespace, organizing his forces, and controlling operations to achieve the desired tactical objectives or end-state. (…)

Intelligence ist im militärischen Umfeld demnach unbedingte Voraussetzung für jedwedes erfolgreiche Operieren. Sie dient nicht nur der Umsetzung von einmal getroffenen Entscheidungen sondern als Grundlage für die Entscheidungsfindung an sich. Dieses aktive Bild steht in auffälligem Widerspruch zu dem Wikipedia-Beitrag, der Business Intelligence weniger der aktiven Vorbereitung sondern mehr der reaktiven Umsetzung von getroffenen Unternehmensentscheidungen zuordnet.

Welche Folgen hat das für die Praxis?

Ein erfolgreiches Nachrichtenwesen ermöglicht es dem Befehlshaber durch Wissens- bzw. Informationsüberlegenheit seinem Gegner an einem Punkt seiner Wahl mit einem von ihm gewählten Kräfteansatz seinen Willen aufzuzwingen. Diese Fähigkeit wird militärisch als Initiative bezeichnet. Ihre Bedeutung für den Kampf kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. In „Die Kunst des Krieges“ fasst Sun Tzu die Bedeutung von Intelligence und – implizit hieraus – der Initiative wie folgt zusammen:

“Wenn du dich und den Feind kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten. “

In gewisser Weise ist die Initiative der heilige Gral der Kriegsführung. Jeder militärische Führer vom Korporal bis zum Feldmarschall begehrt sie, jagt ihr hinterher an und will sie für seine Zwecke nutzen. Konzepte wie Auftragstaktik oder netzwerkzentrische Gefechtsführung sind ohne sie nicht denkbar.

Im zivilen Sprachgebrauch wird Initiative hingegen meist als jede Form des Handelns oder sogar als bloßer Vorschlag verstanden. Dies ist aus zweierlei Gründen irrleitend: zum einen setzt initiative die Fähigkeit voraus, eine eigene Entscheidung zum Zeitpunkt der Wahl mit den Mitteln der Wahl umzusetzen. Dies ist z.B. nicht der Fall wenn ein Unternehmen auf eine Entscheidung der Konkurrenz reagiert oder bloße Schadensbegrenzung betreibt. Zum anderen ist initiative nichts Dauerhaftes sondern ergibt sich lageabhängig aus sich ständig wechselnden dynamischen Rahmenbedingungen.

Das Erstaunliche an dem Wikipedia-Beitrag ist, dass ein dynamisches, offenes System – einer der Vorreiter des Web 2.0 – statisches und geschlossenes Weltbild vermittelt. Die Tatsache, dass dies das Ergebnis einer kollektiven Anstrengung von wirtschaftswissenschaftlich interessierten Akteuren war, zeigt wie weit dieses Weltbild in den Köpfen der Entscheider, bzw. des solcherart vernetzten Managements verankert ist.

Wenn das Bewusstsein – hier vertreten durch Sprache und Semantik – das Sein beeinflussen, hat ein schlampiger Umgang mit den o.a. Begriffen im Rahmen des Managements zwangsläufig Folgen. Schlechte (oder keine!) Intelligence führen zur falschen Lagebeurteilung und diese wiederum zu abwegigen Entscheidungen. Eine vollständige Fehleinschätzung der Lage ermöglicht es den Konkurrenten das eigene Unternehmen auszumanövrieren und dessen Marktstellung zu schwächen oder es im schlimmsten Fall vom Markt zu verdrängen.

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