Über den (Un-)Sinn von Handschuhen im Lebensmittelhandel
Wenn es um Hygiene geht, dann kennen wir uns aus. Schließlich haben wir tagtäglich damit zu tun! Schon unsere Eltern haben uns beigebracht, wie wichtig hygienisches Verhalten ist.
Das hat einen guten Grund: Hygienemängel können gefährlich sein. Sie haben in der Geschichte der Menschheit sehr viel mehr Opfer gefordert als alle Kriege zusammen. Bis zur Entdeckung der Antibiotika waren wir Infektionskrankheiten praktisch schutzlos ausgeliefert, uns blieb nur der Weg der Vermeidung von Infektionen.
Neben der Medizin ist der Umgang mit Lebensmitteln der Bereich, den wir am meisten mit Hygiene verbinden. Über die Lebensmittel kommen wir ständig mit Mikroorganismen in Kontakt, unser Essen und Trinken ist das wichtigste Einfallstor für gefährliche Keime und Viren. Es ist jedem schnell klar, dass der hygienische Umgang mit den Lebensmitteln vom Acker bis auf den Teller sehr wichtig für unsere Gesundheit ist.
Das 20. Jahrhundert war geprägt von der Vorstellung, für die konsequente Befreiung von den Keimen sollte uns jedes Mittel recht sein. Wir haben desinfiziert, was immer möglich war, haben sterilisiert und Antibiotika in großen Mengen eingesetzt. Lange Zeit schien diese Strategie aufzugehen. Die Zahl von lebensmittelbedingten Krankheits- und Todesfällen sank kontinuierlich.
Doch schon bald traten andere Probleme auf, die wir erst durch unser vermeintlich hygienisches Verhalten geschaffen haben. Das menschliche Immunsystem, seit Tausenden von Generationen im Kampf mit den Mikroorganismen optimiert, war überfordert durch diese Art von Reizarmut, überschießende Reaktionen wie Autoimmunerkrankungen traten und treten immer häufiger auf. Lebensmittelallergien sind auf dem Vormarsch, bei immer mehr Inhaltsstoffen haben wir ein allergenes Potential identifiziert.
Im häuslichen Bereich haben inzwischen schon viele Menschen begriffen, dass bei der Hygiene weniger manchmal mehr sein kann. Wenn wir allerdings über den gewerblichen Umgang mit Lebensmittel sprechen, dann ist diese Erkenntnis noch längst nicht so weit verbreitet.
Wenn man eine Umfrage unter Verbrauchern startete, ob sie es bevorzugen würden, von einer Verkäuferin in einer Bäckereifiliale mit Einweghandschuhen bedient zu werden oder lieber ohne eine solche zusätzliche Hygienemaßnahme, dann sind die meisten Kunden der Meinung, dass die Handschuhe nur Vorteile haben. Schließlich wird der Kontakt zwischen Ware und Mensch unterbunden und die Keimbelastung der Produkte so reduziert.
Nun haben aber Untersuchungen in der letzten Zeit gezeigt, dass dies falsch ist. Mehrere Faktoren sprechen dafür, dass man auf Handschuhe im Backwarenhandel möglichst verzichten sollte:
1) Haben Sie sich einmal das Tätigkeitsprofil einer Verkäuferin im Bäckerladen angeschaut? Das Entnehmen und Herüberreichen der Ware zum Kunden ist nur eine Aufgabe. Sie muss daneben kassieren (auch heute noch in den allermeisten Fällen Münzen und Geldscheine), sie muss die Ware aus den Kisten nachlegen, den Ladenbackofen und eventuell noch die Kaffee- oder Eismaschine bedienen, Snacks fertigstellen und nicht zuletzt ihren Laden sauber halten. Oftmals hat sie vieles davon parallel zu machen. Sie kann sich also gar nicht jedes Mal die Handschuhe abstreifen und wieder anziehen und wird deshalb einige der Tätigkeiten mit Handschuhen durchführen.
2) Die Berufsgenossenschaften stellen besorgt fest, dass die Zahl der Hauterkrankungen im Lebensmittelgewerbe deutlich zugenommen hat. Sie sehen eine der Ursachen gerade in der massenhaften Benutzung von Handschuhen, die zum einen für viele Kontaktallergien z.B. gegen Latex verantwortlich sind, zum anderen ein ungünstiges Mikroklima auf der Haut schaffen und damit den Einfall von Krankheitskeimen in die Haut erleichtern. Eine Verkäuferin, die unter ihrem Handschuh aber eine erkrankte Haut hat, sollte nicht mit Lebensmitteln in Kontakt kommen, denn die Gefahr einer Übertragung der Keime ist trotz Handschuh nicht auszuschließen.
3) Handschuhe im Lebensmitteleinzelhandel täuschen ein hygienisches Verhalten nur vor. Untersuchungen haben gezeigt, dass Handschuhe, die zu lange oder bei verschiedenen Tätigkeiten getragen wurden, deutlich höher belastet waren als Hände, die regelmäßig gewaschen wurden. Schließlich haben wir alle auf unserer Haut eine Mikroflora, die uns gesund erhält. Handschuhe haben das nicht, ein schmutziger Handschuh fällt dem Träger noch nicht einmal auf.
Verantwortungsvolle Unternehmen des Bäckereigewerbes haben diesen Erkenntnissen bereits Rechnung getragen und verzichten auf die Benutzung von Handschuhen im Handel. Sie werden in ihrem Arbeitsschutz- und Hygienemanagement von den fachlichen Stellen wie Betriebsärzten und gewerblichen Versicherungen unterstützt.
Ein hygienisches Verhalten beim Handel mit Backwaren sollte demnach so aussehen, dass die Berührung der Waren überhaupt nicht nötig wird. Beobachten Sie einmal die Könner in diesem Job! Da werden die Brote mit der Tüte, in die sie gepackt werden, aus dem Regal geholt, Brötchen mit der Brötchenzange angefasst und der Kuchen mit dem Messer oder dem Tortenheber bewegt. Mit dem Bargeld kommt nur eine Hand in Berührung. Handtücher oder Lappen werden Sie nicht zu Gesicht bekommen, diese Keimschleudern sind tabu und werden durch Einweg-Papierhandtücher ersetzt.
Das alles flächendeckend durchzusetzen wäre einfach, gäbe es da nicht ein gravierendes Problem: die Kunden mit ihren Vorstellungen des hygienischen Umgangs. Solange wir Verbraucher fordern, dass Handschuhe getragen werden, wird es Handschuhe in den Läden geben. Setzten wir auf die Aufklärung der Verbraucher, um zu erreichen, dass sich in dieser Frage schnell etwas ändert! Je mehr Menschen etwas von dieser Problematik wissen, desto mehr Akzeptanz gibt es. Ich denke, die Hygiene unserer Lebensmittel und die Gesundheit unserer Mitarbeiter sollte uns das wert sein.
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