Ischinger fordert mehr deutsches Engagement

Ischinger fordert mehr deutsches Engagement

Experte redet Klartext. Europa muss sich in der Verteidigungspolitik zusammenschließen
Deutschland laviert außenpolitisch herum. Das außergewöhnliche Abstimmungsverhalten vor den Vereinten Nationen 2011, als Deutschland sich in den Libyen-Frage der Stimme enthielt und damit die Nato-Partner, vor allem Frankreich und die USA düpierte, hat Spuren hinterlassen. Kein Land hatte gegen den geplanten Militäreinsatz gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi gestimmt, aber fünf Staaten, und unter ihnen Deutschland, hatten sich der Stimme enthalten. Deutschland ist allerdings nicht erst da zu einem in den Augen der Partner unsicheren Kantonisten geworden. Einerseits fordern gerade innerhalb Europas und der Europäischen Union Politiker anderer Staaten immer wieder Deutschlands Führung nicht nur in der Schulden-und Währungskrise ein, sondern auch sicherheits-und außenpolitisch. Andererseits gibt es immer wieder Stimmen, die Deutschlands Stärke fürchten. Doch können wir uns kleiner machen, als wir sind?
Wolfgang Ischinger, Ex-Botschafter und Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, hat dazu eine dezidierte Meinung: »Wir sind zur Zentralmacht in Europa geworden – ob wir das wollen oder nicht. Nehmen wir diese Verantwortung künftig wahr?« Diese Frage klingt provokativ. Nach der Wiedervereinigung hätten sich die Deutschen in den Status quo verliebt. »Tatsächlich aber befinden wir uns in einem der fundamentalsten Umbrüche überhaupt, bei der die Frage nach der globalen Sicherheit ganz neu gestellt wird.«

Diplomaten sind bekanntlich Freunde verklausulierter Formulierungen. Wolfgang Ischinger kennt sich damit als ehemaliger Diplomat mit langer Berufserfahrung bestens aus. Dennoch ist gerade er bekannt dafür, Probleme und Risiken gerne beim Namen zu nennen. Auf einer Veranstaltung in Balingen ließ er aber Zweifel daran durchblicken, ob Deutschland diese Verantwortung, die es in der Finanz- und Eurokrise übernommen hat, auch im sicherheitspolitischen Bereich innerhalb Europas wahrnehmen wird.
Die Stärke der USA und ihre Rolle als Weltpolizist wird sich mit dem Aufstieg anderer Staaten wie Chinas, aber auch Indiens und Brasiliens relativieren. Ein weiterer Grund für geringeres globales sicherheitspolitisches Engagement ist die Tatsache, dass die USA sich mitten in einer fundamentalen Energiewende befinden. Durch das sogenannte Fracking könnte das Land seinen Öl- und Erdgasbedarf für die nächsten 200 Jahre selbst decken. Amerika könnte vom größten Importeur von Öl schon bald sogar zum Exporteur werden. US-Präsident Barack Obama könnte dies dabei helfen, den defizitären Haushalt langsam wieder in Ordnung zu bringen. Saudi-Arabien und der Nahe Osten werden dann nicht mehr die herausragende Rolle für die USA spielen wie in der Vergangenheit. In 20 Jahren könnten die USA laut einer Studie der Internationalen Energieagentur in Paris völlig autark sein.
»Wir stehen vor einer Krise der internationalen Ordnung«
Das wird dramatische Folgen für Europa und auch für Deutschland haben. »In der zweiten oder dritten Reihe zu stehen und die anderen die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen, wird nicht mehr wie bisher funktionieren«, sagt Ischinger. Die USA werden seiner Überzeugung nach nicht mehr bei allen Krisen und Konflikten die Führung übernehmen. Das war erstmals seit Jahrzehnten schon beim Sturz von Libyens Diktator Gaddafi der Fall. Frankreich und dann auch Großbritannien hatten erstmals seit der Suezkrise 1956 wieder Führung übernommen, waren aber sehr schnell doch wieder auf US-Unterstützung angewiesen gewesen.
Die Erwartungen an Deutschland sind groß. In der Finanz- und Eurokrise hat Deutschland die Führung übernommen – »und die anderen sind froh darüber«. Ischinger lobte Merkel für ihre »hervorragende Arbeit« in diesem Bereich. »Doch auch im sicherheitspolitischen Bereich wird – zumindest auf Höhe mit Frankreich und Großbritannien – Führung von den Deutschen erwartet.« Deutschland dürfe sich nicht treiben lassen.
»Wir stehen vor einer Krise der internationalen Ordnung.« Das Denken sei jahrzehntelang von der Frage geprägt gewesen, »wie können wir verhindern, dass der Starke den Schwächeren besiegt. Heute haben wir Angst vor den Schwachen, vor zerfallenden Staaten wie Somalia oder Mali, wir haben Angst vor einem Chaos.« Die Gefahr eines großen Krieges sei dramatisch gesunken. Die Konflikte verlagern sich stattdessen in solche innerhalb von Staaten wie beispielsweise in Syrien.
»Tendenziell werden durch den Rückzug der USA beispielsweise im Persischen Golf Sicherheitslücken entstehen. Es stellt sich die Frage, ob Europa fähig und auch dazu bereit ist, in diese Lücken einzuspringen und einen größeren Beitrag zu leisten. Dazu müssten wir umdenken.« Europa müsse in der Verteidigungspolitik zusammenrücken. Er fordert mehr Europa auch im militärischen Bereich. Er sprach zwar nicht von einer europäischen Armee, nannte sie aber eine Zukunftsvision.
»Wir müssen an der Grundidee der EU und des Euro festhalten«
Das bedeutet in seiner Schlussfolgerung, dass die Europäer mehr gemeinsam machen und durch Zusammenschlüsse und Kooperation Synergieeffekte erzielen müssten. »Europa und Deutschland als stärkste Nation innerhalb Europas müssen mehr Verantwortung übernehmen und mehr Fähigkeiten entwickeln. Das können sie nur noch gemeinsam.« In dem Zusammenhang brach Ischinger eine Lanze für die oft gescholtene Europäische Union und den Euro. »Wir müssen an der Grundidee der EU und des Euro festhalten. Alles andere wäre verheerend.«

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