Richter Wolfram HENKEL: Arbeitgeber sollten ihre Mitarbeiter als Ressourcen verstehen.

Richter Wolfram HENKEL: Arbeitgeber sollten ihre Mitarbeiter als Ressourcen verstehen.

Interview mit Wolfram Henkel, Vorsitzender Richter am Hessischen Landesarbeitsgericht. Herr Henkel blickt auf eine über 37-jährige Erfahrung als Richter zurück. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften und der Referendar­ausbildung war er bei den Landgerichten Limburg und Wiesbaden tätig und an das Hessische Ministerium der Justiz abgeordnet. Nach dem Wechsel in die Arbeitsgerichtsbarkeit arbeitete er an den Arbeits­gerichten Limburg, Offenbach, Frankfurt und Wiesbaden. Seit 2001 ist er Vorsitzender Richter am Hessi­schen Landesarbeitsgericht in Frankfurt am Main.

Verzeichnen Sie einen Wandel, wenn Sie an die Anfänge Ihrer Tätigkeit zurückdenken?

Ja, natürlich, in vielerlei Hinsicht. Die Arbeitsbedingungen waren anfangs deutlich schlechter. Die Justiz ist damals stiefmütterlich behandelt worden. Die Arbeitsräume sahen zum Teil deprimierend aus. Die Büro­ausstattung war dürftig. Man konnte damals noch nicht einmal ohne Vermittlung nach auswärts telefonie­ren. Das hat sich zum Glück geändert. Heute arbeiten wir selbstverständlich mit der EDV. Internet und E-Mail helfen sehr. Auch die richterliche Arbeitsweise hat sich geändert. Dank elektronischer Datenbanken und elektronisch zugänglicher Kommentarliteratur am Schreibtischbildschirm sind die mühsamen Recher­chen in der Bibliothek nur noch ab und zu nötig. Das macht die Arbeit effizienter und gründlicher. A­ndererseits leidet der Kontakt zu den Kollegen und der juristische Diskurs.

Arbeitsrechtliche Streitigkeiten sind sicherlich auch immer mit einer Prise Emotionalität verbunden. Gab es eine Entwicklung bei der Falllage, respektive bei den Gründen, die zu einem Treffen vor Gericht führen?

Von einer „Prise Emotionalität“ zu sprechen, ist in den meisten Fällen untertrieben. Es geht regelmäßig um starke Gefühle: Um Angst, um Wut, um Rache, um Enttäuschung. Dabei ändert sich der Charakter der Prozesse oft mit dem Schwanken der Konjunktur. Läuft sie gut, ist man sich im Streitfall schneller einig; läuft sie schlecht, wird verbissener gestritten.

Welchen guten Rat geben Sie Arbeitnehmern?

Das wichtigste ist der Erhalt und die Sicherung des Arbeitsplatzes. Dafür sind eine gute Ausbildung und eine permanente Fortbildung unerlässlich. Zu empfehlen ist auch eine offene Kommunikation mit dem Arbeitgeber und die klare Benennung der eigenen Interessen. Das gilt auch für den Betriebsrat. Wer „in­nerlich gekündigt hat“, liefert nicht nur schlechte Leistungen ab, sondern schadet auch sich selbst. Die daraus entstehenden rechtlichen Streitigkeiten haben den schalen Beigeschmack von Stellvertreter­kriegen. Sie müssten oft nicht sein, wenn es zuvor ein deutliches Wort gegeben hätte.

Und für Arbeitgeber?

Arbeitgeber sollten ihre Mitarbeiter als Ressourcen und nicht als Kostenfaktor verstehen. Viele Prozesse kommen zu Stande, weil sich Arbeitnehmer nicht gewertschätzt fühlen. Arbeitnehmer verstehen auch gut, wenn die Firma wirtschaftliche Schwierigkeiten hat. Man sollte ihre Bereitschaft zur Mithilfe und zur Ent­wicklung kreative Lösungen nicht unterschätzen. Wer bei leichtem wirtschaftlichem Gegenwind gleich zum Instrument der Massenentlassung greift, hat Chancen vertan.

Vor Gericht bekommt man ja nicht Recht, sondern eine Entscheidung. Wie sehen Sie die Beziehung zwischen Recht und Gerechtigkeit?

Jedes Gericht hat den Anspruch, nicht nur eine Entscheidung zu treffen, sondern „das Recht zuerkennen“. Die Justiz würfelt nicht!

Was Gerechtigkeit ist, hat sich in den letzten 2000 Jahren Rechtsgeschichte nicht abschließend klären lassen. Der Praktiker ist schon zufrieden, wenn seine Entscheidung mit Recht und Gesetz im Einklang steht. Dass damit dann auch Gerechtigkeit obwaltet, will man gerne hoffen.

Gab es für Sie schon Situationen wo Sie die Rechtslage im Widerspruch zur gefühlten Gerechtigkeit sahen?

Das viel zitierte Rechtsgefühl ist ein schwankender Halm im Wind der Erkenntnis. Je mehr Sach- und Rechtskenntnisse man hat, umso schwerer tut man sich damit. Häufig stehen auch persönliche Interessen dahinter. Das wissen Juristen am besten und haben deshalb damit nicht viel am Hut. In aller Regel liefert das geltende Recht selbst genug Instrumente, um Einzelfälle, die in bestimmter Weise regelungsbedürftig erscheinen, angemessen zu lösen.

Was zeichnet einen guten Richter aus?

Ich glaube, ein guter Richter ist der, der das Recht für die Menschen anwendet, die vor ihm stehen und die Menschen nicht nur zum Anlass nimmt, seine persönlichen rechtlichen Vorstellungen zu entfalten.

Bitte vervollständigen Sie folgenden Satz: “Das Bild der Justizia ist für mich…….”

……. immer noch das Bild einer starken und schönen Frau.

Ohne Ross und Reiter (oder das Aktenzeichen) zu benennen. Was war Ihr schönster Fall?

Wenn Menschen vor Gericht erscheinen, ist das nie „schön“. Ein skurriler Sachverhalt ist mir aber in Erin­nerung geblieben: Eine Arbeitnehmerin hatte einen Kollegen massiv sexuell bedrängt. Als dieser keine Neigung zeigte, ihren Wünschen zu folgen, sann sie auf Rache und behauptete gegenüber der Ehefrau des Mannes, er habe ein Verhältnis mit ihr angefangen. Dazu wurden sogar „Beweisstücke“ präsentiert. Zugleich beschwerte sie sich bei der Geschäftsleitung über die angeblichen sexuellen Belästigungen des Kollegen, der darauf im Betrieb und zuhause allergrößte Probleme bekam, bis nach einer vom Arbeit­geber in Auftrag gegebenen Laboruntersuchung der „Beweisstücke“ der Schwindel aufflog. Die Kündi­gung der Arbeitnehmerin war dann die berechtigte Folge.

Was war Ihr traurigster Fall?

Mein traurigster Fall war der einer promovierten Journalistin, die einem hochgradig kriminellen Liebhaber verfallen war, der die Töchter der Journalistin in sadistischer Weise quälte. Nach der Vergewaltigung einer Tochter sprang diese in Selbstmordabsicht aus dem Fenster im 5. Stock. Der Mann wurde zu einer viel­jährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Journalisten wurde gekündigt. Noch im Kündigungsschutzprozess war sie von der Unschuld des bereits rechtskräftig verurteilten Liebhabers überzeugt. Einen Kündigungs­grund sah sie nicht. Der Fall war nicht nur menschlich tragisch, sondern auch rechtlich interessant, weil er dazu zwang, einmal mehr das Verhältnis von arbeitsvertraglicher Verpflichtung und privater Lebens­führung zu beleuchten.

Was war Ihr bemerkenswertester Fall?

Rechtlich bemerkenswert war z.B. ein Fall, in dem ein Haushandwerker durch eine Gedankenlosigkeit dafür sorgte, dass eine ganze Produktionslinie explodierte. Zum Glück wurde niemand verletzt. Der Scha­den war aber immens. Der volle Schadensersatz hätte den Handwerker bis zum Lebensende auf das Existenzminimum zurückgeworfen. Die Rechtsfragen um die mögliche Haftungsbegrenzung in solchen Fällen wird auch das Bundesarbeitsgericht nochmals beschäftigen.

Und damit sind wir auch am Ende unseres Interviews. Herzlichen Dank für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft!

Posts Carousel

Leave a Comment

Your email address will not be published. Required fields are marked with *